1    Kein Zweifel: vom Kloster aus, von der Vernunft und Moral aus gesehen war sein eignes Leben besser, es war richtiger, steter geordneter und vorbildlicher...  es war sehr viel reiner und besser als das Leben eines Künstlers, Vagabunden und Weiberverführers.

2    Aber ... war der Mensch wirklich dazu geschaffen, ein geregeltes Leben zu führen, dessen Stunden und Verrichtungen die Betglocken anzeigten?

3    War er nicht von Gott geschaffen mit Sinnen und Trieben, mit blutigen Dunkelheiten, mit der Fähigkeit zur Sünde, zur Lust, zur Verweifelung?

   Ja, und es war vielleicht wirklich nicht bloß kindlicher und menschlicher ein Goldmundleben zu führen: es war am Ende wohl auch mutiger und größer, sich dem grausamen Strom und Wirrwarr zu überlassen, Sünden zu begehen und ihre bittren Folgen auf sich zu nehmen - statt abseits der Welt mit gewaschenen Händen ein sauberes Leben zu führen, sich einen schönen Gedankengarten voll Harmonie anzulegen und zwischen seinen behüteten Beeten sündelos zu wandeln.


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Info zum Text:

Zitat von Hermann Hesse, aus: "Narziß & Goldmund" (1930)

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