Checkpoint Wüstensee – Reisereportage, die Erste

… von meinem Studium aus sollte ich eine Reportage über eine meiner letzten Reisen schreiben. Da lag es nahe, dass ich meine Erlebnisse aus Israel beschreibe :)

Checkpoint Wüstensee

vom Campingausflug ans Tote Meer

 

Wir wollen gerade nach dem Tanken wieder losfahren, als uns der arabische Fahrer mit seinem Auto die Ausfahrt abschneidet und sein Fenster runterkurbelt. Er wechselt mit meinem israelischen Freund Shimon ein paar Worte auf hebräisch, die ich nicht verstehe. Der Araber deutet auf Shimons rotes Palästinensertuch, das er zum Spaß für die Fahrt durch die Westbank um seinen Kopf gewickelt hatte. Ich kann an Shimons Augen die Nervosität erkennen. Dann lachen auf einmal beide und der Spuk ist vorbei. „Sie haben sich über mich lustig gemacht.“ erklärt mir Shimon anschließend. „Die haben erkannt, dass ich nicht einer von ihnen bin, trotzdem ich die Kafiya trage. Sie meinten, auf meine Weise würden es nur Frauen tragen.“ Wir lachen. Er zieht sich die Kafiya vom Kopf – ihm sei plötzlich zu warm, behauptet er. Dann fädeln wir uns wieder in den gleichmäßigen Verkehr ein: Runter ans tote Meer! Dort wollen wir das Wochenende wild campen. Wir, das sind vier israelische Freunde und ich, zu Besuch aus Deutschland.

Totes Meer: Der tiefst gelegene See der Erde

Von über 800 Höhenmetern in Jerusalem geht es von nun an 40 Minuten nur noch abwärts, bis auf 400 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Den Unterschied von 1200 Metern kann ich als Druck auf den Ohren spüren. Wie in einem Flugzeug muss ich ständig schlucken und ich sehe es auch an der immer karger werdenden Vegetation. Die Wüste umfängt uns schleichend. Wir fahren vorbei an Panzerruinen aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1948, die wie Mahnmale oder gar Trophäen einfach stehen gelassen wurden. Ein wenig später erhebt sich die viel beachtete Mauer meterhoch zu meiner Linken empor. Hier schirmt sich Israel von Palästina ab und baut Straßen die – aus Sicherheitsgründen wie es heißt – nicht für arabische Palästinenser befahrbar sind. Der stetige Strom abfahrtsfahrender Autos erinnert mich an eine Pilgerfahrt. Unten steht, wie zum Empfang, ein angebundenes Kamel neben der Straße – für eine Karavannentour mit Touristen.

Kamel Totes Meer
Am Eingang zum Toten Meer steht immer ein Kamel bereit!
soldaten-israel
Soldaten gehörten zur Urlaubsidylle hier dazu.

Wir machen kurz Pause, erfrischen uns an Barad (eine Art Eiswürfel-Matsch mit süßem Saft) und ich beobachte Soldaten an der Kreuzung. In voller Armee-Montur, mit Maschinengewehren und Helm passen sie so gar nicht in diese Urlaubsidylle. Sie schieben Wache: herumstehen und die Umgebung auf mögliche Terroristen prüfen. Dann schlängeln wir uns weiter entlang des Toten Meeres, bis wir wieder zu einem Checkpoint kommen. Dort stellen wir die Autos ab, und wandern den Rest des Weges zu Fuß – noch einmal steil abwärts. Meine jüdischen Freunde sehen aus, als würden sie einen Umzug machen mit ihren dicken Matratzen, Klappstühlen, Bambusmatten, Zelten, dem Kochgeschirr und einem Einkauf, der für eine ganze Woche reichen könnte. Unten ist es dann vor allem eines: still.

(K)ein guter Ort zum Sterben :)

Kein Leben weit und breit. Nur brütende Hitze, eine alles versengende Sonne, vertrocknetes Gebüsch, fester Sand und kleine salzverkrustete Wasserläufe, die in den milchigen See plätschern. Aus manchen Gruben am Ufern riecht es muffig. „Das sind die Schwefelbecken.“ erklärt mir Chaim. Dort hinein zu tauchen sei genauso lebensverkürzend, wie die Warnhinweise zu übersehen, die das Betreten von bestimmten Bereichen untersagen. Hier lauern Dolinen, verborgene metertiefe Hohlräume unter einer dünnen Kruste von Sand und Salz. Mir wird etwas mulmig bei all den Gefahren. Selbst beim Schwimmen ertränken jährlich Touristen, weil sie aller Belehrung zum Trotz auf Tauchgang gehen, dabei aber ungewollt größere Mengen an Wasser verschlucken, was leider tödlich ist. Ich bin die einzige, die baden geht. Für Israelis, die von Kindesbeinen an das tote Meer kennen, ist dieses ölig-warme Wasser keine Besonderheit mehr. Ich dafür staune über die eigene Schwerelosigkeit im Wasser. Ich hatte geglaubt, man müsse sich doch wenigstens sich ein kleines bisschen bewegen oder anspannen, um nicht unterzugehen. Aber nein, tatsächlich! Das tote Meer trägt mich. Ich kann sitzend im Wasser schweben und meinen großen Zeh an die Nase ziehen. Ich muss lachen.

das friedliche Tote Meer

Bevor es dunkel wird, suchen wir Feuerholz. Dabei komme ich mir vor, wie bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Winzige Ästchen, vertrocknete Hölzchen. Weil hier nicht viel wächst, ist die Ernte entsprechend kärglich. Am Feuerchen packt Shimon dann seine Gitarre aus, es tönen ein paar Rock-Klassiker, gemixt mit melancholischen hebräischen Weisen. Auf einmal schleichen sich zwei Schatten an: Ob wir was zu trinken hätten? Wir teilen unser kostbares Wasser mit dem fremden Pärchen, das sich glückselig und leise zu uns setzt. „Das tote Meer hat eine ganz besondere Energie.“ erzählt das Mädchen, und rückt dabei ihren orientalisch gemusterten Poncho zurecht. Sie stammt aus England, hatte sich dort in einen Israeli verliebt und lebt nun, wie sie sagt, seit ein paar Monaten mit ihm hier am toten Meer von Luft und Liebe.

 

Chaim und die anderen beiden haben sich in ihre Zelte verkrochen. Wir zwei schlafen lieber im Freien, den breiten endlosen Sternenhimmel über uns. Oben, wo unser Auto parkt, können wir den hell erleuchteten Grenzübergang grünlich schimmern sehen und wie die Soldaten rastlos hin und her patrouillieren. Hier unten ist Frieden.

 Oben patrouillieren rastlos die Soldaten. Hier unten ist Frieden.

Uns weckt der schrille Schrei zweier Tristramstare mit schwarz glänzendem Federkleid. Wie die hier überleben, frage ich mich, wo doch sonst kein Leben weit und breit ist. Gelockt durch die Erzählungen am Feuer, machen wir uns auf die Suche nach der Behausung des fremden Pärchens. Auf einer kleinen Anhöhe werden wir fündig, die beiden schlafen noch. Bunte Tücher zwischen Geäst und Schilf überspannen wie ein Zelt eine kreisrunde Fläche gleich einer geräumigen Jurte. Auf dem Boden befindet sich die Lagerstatt aus Schlafsack, Matten und Kissen, in der Ecke ist eine Nische für die provisorische Küche und draußen ein paar Schritte weiter schaukelt eine aufgespannte Hängematte verträumt im seichten Wind. Wir flüstern, um die beiden nicht zu wecken und schleichen so lautlos wie wir gekommen sind, wieder davon.

Den Rest des Vormittags dösen wir faul und ultra-entspannt in der Sonne und tun nichts weiter, als anderen Badegästen zuzuschauen, ein bisschen zur Gitarre zu singen und die restlichen Tropfen Wasser miteinander zu teilen.

relaxen am toten meer

 

Mit dem Auto in der Wüste steckenbleiben…

Um die Mittagszeit wird es unerträglich heiß. Wir packen also und wollen heimfahren. Shimon kommt auf die Idee uns mit dem Auto den Abhang entgegen zu kommen, damit wir mit all dem Gepäck nicht eine halbe Stunde bergauf hecheln müssen. Ich setze mich zu ihm ins übervolle Auto, während die anderen drei sich zu Fuß weiter mühen. Doch zu früh gefreut: der geröllige Weg ist überaus sandig und wir bleiben kurze Zeit später stecken. Das Rad dreht an einem Abhang durch und es scheint kein Weiterkommen möglich. Ich bin entgeistert, in einer Wüste festzustecken, ohne ein Tropfen Wasser und bei brütender Hitze. Aber ich reiße mich zusammen, lasse kein Wort der Klage über meine Lippen kommen, sondern beiße die Zähne aufeinander und schaufele mit bloßen Händen immer wieder das Rad frei, wenn es durchgedreht ist und sich tiefer in den Sand gräbt. Wir kommen zentimeterweise voran, dann rutschen wir wieder einen Meter zurück. Es ist zum verzweifeln. Die anderen rufen an, und fragen, wo wir denn bleiben: Ich solle ihnen sagen, alles okay, wir kämen gleich, gibt mir Shimon zu verstehen. Er will keine Hilfe und auch keine unnötige Aufregung. Ich finde ein Stück weißen Stoff und ein paar größere Steine und lege sie unters Rad. Noch einmal einen halben Meter weiter, dann gräbt sich das Auto erneut in den Sand. Wieder befreie ich das Rad, spüre den Schweiß auf meiner Stirn, den Staub in meiner Nase, doch wir geben nicht auf. Nach einer gefühlten Ewigkeit schafft es unser Auto endlich den Anhang hinauf, wir jubeln laut auf, alle Anspannung fällt ab. Wir sind frei! Wir haben es geschafft! Wir sind die Helden der Wüste! Shimon grinst so breit wie ich und als wir oben auf der Straße endlich wieder Asphalt unter den Rädern spüren, dreht er sich mit einem Blitzen in den Augen zu mir und fragt: “Na, und jetzt noch Kamelreiten?”

 

 

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