Haben
Sie immer eine Kamera dabei, wenn Sie das Haus verlassen?
Nein, nie. Ich bin
nur deshalb Fotograf geworden, weil ich soziale Konflikte beschreiben
mächte.
Das Bild,
das sich die äffentlichkeit von einem Kriegsfotografen macht, sieht
anders aus: Ein einsamer Held, der in einer Tarnjacke seinen Storys
hinterherjagt.
Ich bin kein
Jäger. Mir geht es mehr um eine Haltung. Ich glaube, dass ich einen
wichtigen sozialen Auftrag erfälle, im Dienst der äffentlichkeit.
In den
letzten zwanzig Jahren gab es kein Krisengebiet, das Sie nicht
fotografiert haben. Arbeiten Sie immer im Auftrag eines Magazins oder
auch auf eigene Faust?
Fast alle
Geschichten entwickle ich selbstständig. Danach gehe ich zu Magazinen
und bespreche das Thema. Hauptsächlich mit dem "Time Magazine",
manchmal aber auch mit dem "Stern". Meistens kann ich sie äberzeugen,
die Geschichte zu bringen. Manchmal sind sie aber auch gar nicht
interessiert. Dann mache ich mich auf eigenes Risiko auf den Weg und
versuche später, das Material zu veräffentlichen.
Wann
beginnen Sie sich fär ein Thema zu interessieren?
Das ist
unterschiedlich. Manchmal lese ich eine Meldung in einer Zeitung oder
häre etwas im Radio. Dann setze ich mich in die Bibliothek und
recherchiere die Hintergrände. Manchmal beschäftige ich auch einen
Rechercheur. Oft bleibt mir dafär allerdings keine Zeit. Geschichte
wartet nicht. Man muss sich sofort auf den Weg machen, um vor Ort zu
sein, wenn es passiert. Die Recherche findet im Feld statt.
Wenn Sie
zuräckkehren, bringen Sie Fotos mit, die schon Wochen alt sind. Kann
die Reportagefotografie gegen die schnellere Konkurrenz von Fernsehen
und Internet bestehen?
Geschwindigkeit
ist nicht immer das Wichtigste. Im Fall eines aktuellen Ereignisses ist
das Internet sicher schneller. Aber ich arbeite auf einer anderen,
tieferen Ebene. Mit einem persänlicheren Zugang. Und wenn es sich um
einen langfristigen Prozess handelt, muss ich nicht der Erste sein.
Sie sind
nach Ruanda, nach Afghanistan, nach Somalia gefahren, als niemand sonst
es tat.
Das ist wahr. Ich
will nicht nur einen Krieg fotografieren, sondern auch seine Folgen.
Sobald eine Geschichte keinen Nachrichtenwert mehr besitzt, bin ich
allein.
Wieviele
Kriege haben sie schon erlebt?
Ich habe sie nicht
gezählt. Viele, seit 1981.
Mussten Sie
je um Ihr Leben färchten?
Ich war in einer
Menge Situationen, in denen mein Leben in Gefahr war.
Zum Beispiel?
Sie mächten, dass
ich Ihnen eine Kriegsgeschichte erzähle? Ich weiä nicht. Ich wurde in
Gefechte verwickelt, in denen Menschen, so nahe wie Sie jetzt neben mir
sitzen, von einer Kugel getroffen und getätet wurden. Auf mich wurde
geschossen, wurden Raketen abgefeuert und Bomben abgeworfen - wie Sie
sich vorstellen kännen, wenn es um Krieg geht. Ich bin in Hinterhalte
geraten, musste Minenfelder durchqueren. Immer wieder ist sowas
passiert.
Haben Sie
Angst gehabt?
Ich weiä genau,
was geschehen kann. Ich bin mir der Folgen sehr bewusst und glaube
nicht, dass mich irgendetwas schätzen wärde. Man muss sehr aufmerksam
sein und sehen, was um einen herum vorgeht, um im richtigen Moment die
richtige Entscheidung zu treffen. Es ist eine ständige Gratwanderung
zwischen äberleben und einen Job erledigen - ihn gut erledigen,
effektiv. Denn wenn meine Arbeit nicht effektiv ist, gibt es keinen
Grund, dass ich äberhaupt da bin.
Sie brauchen
auch Gläck?
Es kann ganz
hilfreich sein. Kriegsreporter bewegen sich durch eine Umwelt, die
geschaffen wurde, um zu täten und zu zerstären. Wer in sie eindringt,
kann selbst zerstärt werden. Ohne vorherige Warnung.
Kriegsfotografen
gelten als Zyniker. Sie haben viel Leid, Terror und Angst gesehen: Hat
Sie das abgestumpft?
Zynisch wäre,
aufzugeben, weil man glaubt, nichts auszurichten. Das wäre so einfach.
Kriegsreporter, die kontinuierlich Einfluss zu nehmen versuchen, sind
alles andere als abgebrähte Cowboys.
Sollen Ihre
Fotos die Welt verbessern?
Meine Bilder
allein kännen nichts bewirken. Aber sie sind ein Beitrag zu dem Bemähen
von vielen anderen Menschen. Die äffentliche Meinung kann Druck auf die
politischen Entscheidungsträger ausäben, um Missständen abzuhelfen.
Meine Aufgabe ist es, fär eine Sensibilisierung zu sorgen.
Lohnt es
sich, dafär sein Leben zu riskieren?
Ich habe es sehr
oft getan. Also sollte meine Antwort, nehme ich an, lauten: Ja.
Weckt
ständig präsente Gewalt nicht das Bedärfnis, sich emotional
abzuschotten?
Im Gegenteil. Ich
muss mich emotional äffnen, wenn ich mich dem Leiden einer vom Krieg
heimgesuchten Bevälkerung aussetze. Andernfalls werde ich kein
eindrucksvolles Bild aufnehmen kännen. Ich mächte die Leute mit meinen
Fotos bewegen, also muss ich selbst empfänglich sein. Meine Gefähle
mässen in Bilder umgeleitet werden.
Kännen Sie
nach Ihren Reportagen nachts noch schlafen?
Ja, weil ich
vällig erschäpft bin.
Muss man
kaltblätig sein, um ein gutes Foto zu machen?
"Kaltblätig" ist
nicht der angemessene Ausdruck. Meine Arbeit erfordert Disziplin,
Training, einen Sinn fär das Wesentliche. Um ein berährendes Foto zu
schieäen, muss man sich selbst, seine ängste und visuellen Instinkte
kontrollieren kännen. Es wärde keinem Fotografen nätzen, vor dem Grauen
zuräckzuschrecken und zu sagen: Das kann ich nicht mitansehen. Ich muss
mit Dingen umgehen, die mir unangehm sind, die mich wätend oder sehr
traurig machen. Stellen Sie sich vor, ein Arzt wärde sich angeekelt vor
einem Verletzten abwenden. Es ist auch fär ihn schlimm, aber er weiä,
warum er es tun muss.
Hat Ihre
Arbeit Sie verändert? Auf welche Weise?
Ich weiä nicht
mehr, was fär ein Mensch ich mit 20 gewesen bin. Deshalb fällt es mir
schwer, die Veränderung zu beschreiben. Aber meine Wertschätzung des
Lebens, einzelner Menschen und was sie durchmachen, ist seither gewiss
enorm gestiegen. Auch weiä ich heute, wie stark Menschen im Angesicht
schlimmster Verluste sein kännen, mit welcher Kraft sie ihr Leben
fortsetzen und sich um ihre Familie kämmern.
Was war das
erste Bild, das sie verkauft haben?
Ich verkaufe meine
Bilder nicht - sie werden veräffentlicht. Mich interessiert nicht
kommerzieller Erfolg, sondern Kommunikation. Aber um Ihre Frage zu
beantworten: An das erste veräffentlichte Bild erinnere ich mich nicht
mehr.
Eines ihrer
berähmtesten Fotos zeigt einen jungen Hutu, dessen Kopf von
Machetenhieben gezeichnet ist. Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?
Nein. Ein Jahr
nach den Aufnahmen habe ich versucht, ihn wiederzufinden. Aber ich
konnte ihn nirgendwo auftreiben. Ich fragte bei Hilfsorganisationen
nach, aber niemand konnte seine Spur ausfindig machen. Ich wusste
seinen Namen, den ich mir auf einem Zettel notiert hatte. Auäerdem
hätten ihn seine auffälligen Narben identifiziert. Trotzdem war er
verschwunden.
Ist es
schwer mit den Leuten in Kontakt zu bleiben, die sie fotografiert haben?
Es ist nahezu
unmäglich. Das ist der Preis dafär, ein ausländischer Journalist zu
sein.
Haben Sie
Szenen erlebt, die zu grausam waren, um sie zu fotografieren?
Ich war Zeuge von
extrem grausamen Dingen, die ich lieber nicht gesehen hätte. Aber ich
glaube, ich wäre meiner Pflicht nicht nachgekommen, wenn ich sie nicht
fotografiert hätte. Deshalb war ich ja da. Es wäre falsch, meine eigene
Arbeit zu zensieren, weil sie mir Albträume bereitet. Meine Abscheu
muss ich fär mich behalten - und später bewältigen. Ich selber bin
nicht wichtig. Was zählt, sind die Bilder.
Glauben Sie
noch an das Gute im Menschen?
In jedem von uns
gibt es einander bekämpfende Kräfte. Das ist die Realität. Weil es bäse
Seiten in uns gibt. Das heiät aber nicht, dass ich den Glauben and das
Gute in uns verloren hätte. Ich versuche, ständig daran zu appellieren
- das Unakzeptable nicht hinzunehmen. Den Sinn fär den Unterschied von
guten und schlechten Eigenschaften zu stärken. Und die Bereitschaft
nicht zu verlieren, sich mit anderen zu identifizieren. Das sind die
besten menschlichen Instinkte. Meine Bilder versuchen, sie zu wecken.
Wo werden
Sie Ihre nächsten Fotos machen?
Ich rede nicht
äber Bilder, die ich noch nicht gemacht habe.
-Interview
von Kai Mäller und Christian Schräder, Quelle-
Was Menschen tun
Von Andreas Kilb, 28. Dezember 2003
Wo immer von James Nachtwey die Rede ist, liest man, er sei ein Kriegsfotograf, und er selbst behauptet es auch. Aber es stimmt nicht. Nachtwey fotografiert nicht den Krieg. Er fotografiert Menschen, die den Krieg erleiden. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Nachtwey zeigt keine Panzer im Gefecht, sondern Waisenkinder, die in ausgebrannten Panzern spielen. Er zeigt nicht den Granateneinschlag, sondern den tschetschenischen Jungen, dem die Granate beide Beine abgerissen hat und der an Nachtweys Kamera vorbei ins Leere schaut, als müßte er sich entschuldigen für das, was von ihm geblieben ist. Er zeigt nicht die Massaker in Ruanda, sondern ihre halbverwesten Opfer, die in kleinen Haufen auf den Straßen und in Kirchen liegen, und die Macheten der Täter, die einen viel größeren Haufen bilden, einen Schrotthaufen des Grauens.
Der Heckenschütze aus dem bosnischen Bürgerkrieg, den Nachtwey fotografiert, ist einfach ein Mann mit einem Gewehr in der Hand am Fenster eines Wohnzimmers, vielleicht seines eigenen, vielleicht eines fremden. Und der sterbende Taliban-Kämpfer in der Stadt Kundus ist ein anderer Mann ohne Uniform, der mit einer Waffe neben sich auf der Straße liegt, während sein Blut, das wie verschüttetes Spülwasser aussieht, aus ihm herausfließt. Sein Körper ist wie ein Fragezeichen gekrümmt, und man kann sehen, wie seine Beine strampeln und sein geöffneter Mund schreit, und sich vorstellen, wie das Strampeln dann langsamer und das Schreien leiser werden werden wird; und diesen Moment, in dem der Schock des Getroffenseins aufhört und der Todeskampf beginnt, hat Nachtwey festgehalten. "Seht her", sagt diese Fotografie, aber nicht: "Seht her!" Sie will uns nicht blenden mit dem Schrecken dieser Welt, sie will etwas zeigen, ruhig, sachlich, genau.
family shots
Im C/O Berlin, dem "Cultural Forum for Photography", sind nun knapp 140 Fotos von James Nachtwey zu sehen, in Serien geordnet, ein repräsentativer Querschnitt seines Werks. Wie bei vielen Querschnitten müßte man auch hier Schwachstellen erwarten, Wiederholungen, Leerläufe; aber es gibt sie nicht. Kein Bild Nachtweys gleicht dem anderen, weil kein Mensch dem anderen gleicht. Die Choleratoten in den Flüchtlingscamps zwischen Ruanda und Zaire, die mit Bulldozern in Gruben geschoben oder auf Lastwagen weggekarrt werden, sehen anders aus als die Hungertoten in Somalia oder die Bürgerkriegstoten in Bosnien-Hercegovina. Die Kinder in den rumänischen Waisenhäusern sind auf andere Weise nackt und hilflos als die Kinder in Afrika und in den Elendsvierteln von Jakarta.
Jedes Elend ist spezifisch, jede Qual hat ihre besondere Signatur, die entziffert werden will. Diese Entzifferung besorgen Nachtweys Fotos. Sie stellen die Toten, die Gezeichneten, die Verlorenen in den Kontext ihrer Verlorenheit, sie sind family shots des Grauens, so wie es family movies vom bürgerlichen Alltag gibt. In Christian Freis Dokumentarfilm "War Photographer", der vor einiger Zeit bei uns im Kino lief, kann man sehen, wie Nachtwey zu seinen Aufnahmen gelangt. Er stellt sich den Leuten vor, die er porträtiert, gibt ihnen die Hand, redet mit seiner leisen, sonoren Stimme auf sie ein, bis sie ihn in ihr Haus lassen, ihre Hütte, an ihr Krankenbett, ins Totenzimmer ihrer Kinder, Nachbarn, Geschwister. Er hat den bosnischen Totenwäschern die Hand geschüttelt, die den armlosen Rumpf des gefallenen Soldaten abspritzen, den rumänischen Hilfsschwestern, die die aidskranken Waisenkinder tragen, kleine, kompakte Bündel aus Augen und Knochen, und dem beinamputierten Jungen in Tschetschenien.
Historiograph des weltweiten Bürgerkriegs
Diese Hände sieht man auch auf Nachtweys Bildern: Hände am Abzug, am Drücker, Hände, die im Todeskampf verkrampft sind, Hände, die die Toten bergen. Ein Foto aus Somalia, entstanden 1992, zeigt ein verhungertes Kind, das in ein Grabtuch eingenäht wird. Von den drei Frauen, die diese Arbeit verrichten, erkennt man nur die Arme, die Fingerspitzen, die den toten Jungen mit unendlicher Vorsicht zurechtlegen, während eine weitere Hand schon das Tuch anhebt, in dem er verschwinden wird. Es ist ein Bild ohne jede Rhetorik, die Beschreibung eines einfachen Vorgangs, und doch gleicht es frühneuzeitlichen Darstellungen der Beweinung Christi, weil in ihm ebenso wie in den Gemälden die Trauer ganz in die Gestik der Personen geflossen ist, in die Finger und Hände, die jene Tränen zu weinen scheinen, welche die Augen nicht mehr vergießen können.
Und dann bemerkt man, daß dieses Kind schön ist. Nicht einfach hübsch, sondern überirdisch schön, von einer Schönheit, wie sie vielleicht nur den Toten und ihren Abbildern eignet. Es gibt Leute, die den Fotos von James Nachtwey vorwerfen, sie seien zu schön, zu ästhetisch, zu bewußt komponiert, aber ebensogut könnte man diesem Kind vorwerfen, es sehe zu gut aus für ein Hungeropfer. Die ästhetische Qualität von Nachtweys Aufnahmen schärft unseren Blick auf das, was sie zeigen, sie verwandelt das Gesehene in ein Bild, das zurückschaut. Es ist ein Album der Menschheit, das hier entsteht, eine Bestandsaufnahme des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts, verfaßt mit der sachlichen Kälte eines Xenophon oder Thukydides. Vielleicht sollte man Nachtwey eher einen Bildchronisten nennen, einen Historiographen des weltweiten Bürgerkriegs, zu dem der Krieg der Staaten und Blöcke ausgeartet ist.
Mitgefühl, hat Susan Sontag in ihrem neuen Buch geschrieben, sei eine instabile Emotion; es müsse in Handlung übersetzt werden, oder es zerfalle. Bei Nachtwey aber zerfällt nichts, die Wut und die Trauer nehmen nicht ab, sooft man diese Fotos betrachtet. Das liegt daran, daß sie mehr transportieren als Nachrichten. Ihre Wahrheit erschöpft sich nicht im Dokumentarischen, sie rührt an das, was hinter allem Mitgefühl steckt: Selbsterkenntnis. "Das bist du", sagen diese Bilder. "Das sind deine Kinder, deine Verwandten und Freunde - morgen, übermorgen, wer weiß. Alles ist möglich." Man verläßt die Ausstellung mit dem Gefühl, keinen festen Boden mehr unter den Füßen zu haben. Alles kann geschehen, denn alles ist schon passiert. Vor einigen Tagen wurde James Nachtwey auf einer Patrouillenfahrt im Irak schwer verletzt. In kritischem Zustand liegt er im amerikanischen Militärkrankenhaus in Landstuhl. Seine Bilder kommen ohne ihn zurecht. Sie schreien für sich.
Quelle: http://www.faz.net/
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