Gregor Kochhan: Der Alltagsrassismus ist das Problem
„Rechtsextremismus ist ja nur eine Spielart des Rassismus.“ klärt mich Gregor Kochhan in unserem kurzen Interview Anfang August 2019 auf. Ich besuche ihn im Diakonischen Werk Greifswald, um mehr über sein Anliegen zu erfahren. Denn ich möchte in meinem Blog Menschen vorstellen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, eine persönliche Herzensangelegenheit konsequent zu vertreten. Für Gregor ist es das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz.
Gregor Kochhan, Jahrgang 1958, zog es 2005 von Braunschweig nach Greifswald. Hier fing er im Diakonischen Werk als Sozialberater an und ist dann, auf Grund seiner ursprünglichen Ausbildung zum Juristen, im Bereich Asylrecht gelandet. Das heißt, er hilft Menschen, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Aufenthaltsablehnung bekommen oder im Rahmen des Verfahrens Probleme haben. Er vertritt diese Menschen rechtlich – bis hin zur Klage beim Verwaltungsgericht.
Ein Asylsystem, das den Menschen in den Mittelpunkt stellen würde und diesen nicht als Eindringling sieht, wäre hilfreich und würde sicherlich die Akzeptanz erhöhen. Denn so, wie es ist, verstärkt es Vorurteile gegen Geflüchtete.
Zitat von: Gregor Kochhan
Was hat dich dazu bewegt, dich zu engagieren?
Eigentlich immer schon, aber hier in der Region gab es doch zwei Initialzündungen. Das fing 2012 mit dem Pressefest der NPD bei Pasewalk an. Vielleicht dachte man Vorpommern sei die nationalbefreite Zone, hier sei kein Widerstand. Aber der Bürgermeister von Pasewalk hat sehr deutlich Farbe bekannt und deutlich widersprochen. Dann hat sich Protest der Bürger geformt und es wurde eine Gegendemo gestartet. Dadurch ist damals das Bündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt“ entstanden. Eine Menge Leute haben sich zusammengetan und begonnen, sich zu engagieren. Zu der Zeit wurde uns klar, dass wir darauf achten müssen, was die NPD, die „Kameraden“, was die Rechten eigentlich machen.
Das zweite war die „Provinzpegida“ Ende 2015. Da haben wir dann eine Gegendemo auf dem Markt veranstaltet. Aus diesem Protest ist dann auch das Kulturfest zum 1. Mai entstanden – und die Bürgerinitiative „Greifswald für Alle“.
Kurzer Einblick in das „Pressefest“ der NPD – 2012 in Viereck bei PasewalkIst denn Rechtsextremismus wirklich ein ernstzunehmendes Problem?
In Vorpommern war zum Beispiel die NPD mal stark, sogar im Landtag vertreten – aber es hieß immer: „Lass die doch einfach mal machen.“ Damit wollte man sich nicht beschäftigen. Ich halte das für den falschen Weg. Wenn sich niemand damit auseinandersetzt, wenn kein Widerstand ist, denken sie, die können einfach machen. Dann werden über kurz oder lang die Leute und deren Forderungen radikaler.
Die AfD halte ich seit ihren Anfängen sogar für noch viel gefährlicher als die NPD. In der öffentlichen Wahrnehmung kommen sie nämlich viel bürgerlicher rüber, nicht so offen radikal. Dabei ist die AfD nicht minder rassistisch.
Es geht mir vor allem um den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, der Alltagsrassismus ist das Problem. Dass man fremde Leute komisch anschaut, ohne sich selbst gleich als rechts zu definieren. Dass es heißt „die“ und „wir“ – als wäre da ein Unterschied.
Ich persönliche nehme total viel mit durch meine Begegnungen mit Geflüchteten. Die Gespräche bereichern mich, was nicht heißt, dass ich alles übernehmen muss. Wir lernen einfach voneinander. Das ist doch spannend.
Welchen Schwierigkeiten begegnest du durch dein Engagement?
Im Wesentlichen sind eigentlich nur die Hasskommentare in den sozialen Medien das Problem. Ich habe den Eindruck, das sind alles Maulhelden, die früher eben in der Kneipe am Stammtisch Sprüche geklopft haben. Wie ich diesem Phänomen begegnen sollte, ist mir selbst noch nicht klar.
Da bekommt man viele Vorurteile zu hören. Zum Beispiel Stichwort Asylindustrie: Dass ich diesen Job ja nur machen würde, weil ich ja dafür bezahlt werde. Aber Organisationen, die sich für Geflüchtete einsetzen, machen das ganz sicher nicht, weil sie dafür Geld bekommen.
Ich möchte, dass die Leute begreifen, dass wir alle Menschen sind. Das Gefährliche ist, wenn man in Kategorien denkt. Aber A**löcher gibt es überall. Bei Leuten mit Migrationshintergrund, bei Geflüchteten, genauso wie auch bei Deutschen. Ich trete für eine Welt ein, in der Herkunft, Geschlecht, finanzielle Möglichkeiten und sexuelle Orientierung keine (wirklich keine) Rolle spielen.
Eigentlich motivieren mich am Ende Hasskommentare sogar. Denn dann wird mir wieder einmal bewusst, wie wichtig meine Arbeit ist.
Dann denke ich: Ja, mein Engagement ist an der richtigen Stelle. Und es muss noch viel mehr von uns geben, wir müssen noch viel mehr werden.
Wer sich engagieren möchte, kann folgendes tun:
- in der Kommunalpolitik mitmischen (Parteiarbeit)
- In Bündnissen aktiv mitwirken, wie zB in
„Greifswald für alle“ (Treff einmal die Woche, Dienstag Abend im Sofa) und
„Greifswald hilft (Geflüchteten)“ (u.a. Deutschunterricht geben) - Auf dem Kulturfest am 1. Mai präsentieren sich viele Greifswalder Vereine und Initiativen, die sich über neue Mitwirkende freuen.