Asperger – verkannte Juwelen!

Mit dem Begriff Autist assoziieren viele einen in der Ecke vor sich hinschaukelnden Jungen, der nervös an seinen Ohren spielt und dabei die Zahl Pi in seine Unendlichkeit rezitieren kann. Und Asperger Autisten wären demnach eine abgeschwächte Variante von Menschen, die irgendwie eigen sind und keine wirklichen Beziehungen zur Außenwelt herstellen können. Nachdem ich mich nun eine Weile mit dem Autismus Spektrum befasst habe, weiß ich gar nicht mehr genau, was meine Vorurteile vielleicht gewesen sein mögen.

Ich weiß nur, dass sie vollkommen hinweggewischt worden sind und anstelle dessen ein großes Staunen, ein noch größerer Respekt getreten ist vor einer Spezies unter uns, die eigentlich wie Juwelen funkeln und gewertschätzt werden müssten, weil sie so besonders sind.

Asperger ticken einfach etwas anders

Das Gehirn von Aspergern ist anders „verdrahtet“ als das der meisten Menschen, sodass sie subtile Hinweise in Mimik, Gestik oder im Unterton eines Gespräches schwer mitbekommen und auch sonst Schwierigkeiten haben die Regeln des sozialen Miteinanders nachzuvollziehen. Daher können Asperger, gerade als Kinder wenn sie noch nicht die ganzen „Anpassungsleistungen“ vollbracht haben – oder aber später, wenn sie in Interaktionen zu sehr nach Protokoll und gelernten Regeln agieren – etwas seltsam und eigen wirken.

Ich stelle mich auf die Seite der neueren wissenschaftlichen Ansichten, die das Syndrom nicht als „Störung“ (also Krankheit) ansehen, sondern eher als eine neurologische Besonderheit – so wie beispielsweise es Linkshänder, Farbblinde oder Hochsensible Menschen gibt.

Die Welt braucht Asperger

„Was wäre, wenn das Asperger-Syndrom anhand seiner Stärken definiert wäre?“ fragen Gray und Attwood in einem Artikel von 1999. Sie skizzieren ein Gedankenexperiment, in dem man Asperger nicht „diagnostiziert“ sondern „entdeckt“. Wie, wenn man bei jemanden ein besonderes Talent aufspürt. Ein paar der aufgeführten Stärken möchte ich im folgenden präsentieren. Asperger zeigen uns eine andere Welt und Sichtweise: und das kann, wenn man offen genug ist, immer eine Bereicherung darstellen! (kleine Anmerkung noch: da Autismus ein Spektrum ist, trifft nicht jede Eigenschaft auf alle Asperger zu, bei einem mehr, beim andern weniger… so wie man auch nicht alle Introvertierten in einen Topf werfen kann. Jeder ist am Ende doch individuell und keine Schublade.)

  • Asperger sind loyal und zuverlässig. Sie halten Wort und stehen zu ihren Entscheidungen.
  • Asperger sind nicht von Vorurteilen bestimmt. Sie nehmen dich, wie du bist – und wenn sie dich gern haben, akzeptieren sie dich auch, ohne dich ständig ändern zu wollen.
  • Asperger sagen ihre Meinung, wo andere aus Angst vor Hierarchien oder anderen sozialen Zusammenhängen lieber schweigen. Sie sind also ehrlich und standfest.
  • Sie sind aufrichtig und suchen ebenso echte Freundschaften, keine oberflächlichen Beziehungen und Small-Talks.
  • Wenn Asperger mit dir reden, haben sie keine versteckten Hintergedanken oder subtile Botschaften, die du erst entschlüsseln musst. Was sie sagen, meinen sie auch so.
  • Asperger finden oft einzigartige Lösungen, auf die vorher sonst niemand gekommen ist.
  • Weil Asperger sich gut Dinge merken können und auch liebend gerne sich in ihr Spezialgebiet vertiefen, sind sie unglaublich nützlich als lebendes Navigationsgerät, wandelndes Lexikon oder als Babelfisch ;)
  • Sie sind beharrlich und ausdauernd. (zum Beispiel auch bei für Andere scheinbar langweiligen Aufgaben wie die Pflege von Systemen und Daten – wie fleißige Wichtelmännchen, die im Hintergrund alles in guter Ordnung halten)

Wer neugierig ist und sich weiter informieren möchte, dem empfehle ich die Websiten Autismus-Kultur.de oder auch gleich den persönlichen Blog Echt Anders. Da jeder von uns auch Eigenschaften aus dem Autismus-Spektrum hat, ist es für den einen oder andern vielleicht auch spannend, einen ausführlichen Asperger-Test (Kurzer Standardtest mit 50 Fragen, Langform 150 Fragen) zu machen!

Lange nicht gewusst, was los ist: Leben in einer Asperger Familie (Rezension)

Wie es ist, wenn du merkst, dass dein Kind irgendwie anders ist, aber keiner es dir glaubt – das beschreibt Corinna Fischer in ihrem Buch „Ich liebe einen Asperger.“ Ihre Kinder schrieen oft so lang und anhaltend und meist nur, wenn sie zu Hause waren – oder saßen desinteressiert von ihrer Umwelt in einer Ecke und malten Karokästchen aus.

Dieses Buch kann denjenigen helfen, denen es ähnlich geht – und die auf der Suche nach ausführlichen Detailbeschreibungen von möglichen Symptomen und Indizien sind, wie man herausfindet, ob sein Kind „normal“ ist. Oder auch der Ehemann. Denn erst durch das Entdecken des Autismus bei Ihren Kindern, kam auch heraus, dass ihr Mann Asperger ist. Endlich konnte sie sein oft scheinbar distanziertes Verhalten erklären, das sie so verletzt hatte.

Wie es ist, in einer Familie mit Asperger Mann und Asperger Kindern zu leben

Wenn einfach alles anstrengend ist und unerklärlich wirkt

Anhand Fischers Erfahrungen sieht man, dass es unglaublich schwer sein kann, nicht zu wissen, warum die Kinder irgendwie anders sind, und sich darüber nicht mit dem Mann auseinandersetzen können, weil der auch irgendwie anders ist. Alle in ihrer Familie waren permanent mit den Reizen überfordert und tagsüber wurden allerlei Anpassungsleistungen vorgenommen (versucht, sich gut in die soziale Welt einzufügen) und abends war das Geschrei groß, wenn die ganze Belastung abfiel und Raum war der Überforderung Ausdruck zu verleihen. Die Tochter weinte eigentlich ständig, saß teilnahmslos rum, malte Karokästchen aus und war verschreckt und traurig… während der Sohn zeterte, jammerte und schrie und zu nix zu bewegen war, weil alles seine Sinne überreizte. Ja, wenn man das nicht ahnt, nicht versteht, dass diese scheinbaren Kleinigkeiten wirklich großen Stress und Schmerz für das Kind bedeuten können, gehen ja alle Erziehungsmethoden zwangsläufig nach hinten los! Das Lesen allein all dieser Jahre Leid und Kummer war für mich furchtbar furchtbar anstrengend. Hilft womöglich aber denjenigen, die sich darin wieder finden und glauben, sie sind ganz allein mit ihren anstrengenden Kindern (und alle Welt meint, es sei nur eine Phase).

Ich komme nicht umhin, sehr mitzufühlen und wütend zu werden über die Ignoranz der Ärzte. Die Probleme mit den Kindern werden den Ärzten ausführlich geschildert, aber es werden Ausreden („das Problem liegt in der Erziehung!“) gesucht, anstelle Diagnosen. Kein Wunder, dass sie sich als 5fache Mutter einfach total überfordert gefühlt hat.

Leben mit einem Asperger als Partner – eine Doku

Ein Asperger beschreibt wie es ist, Autist zu sein

 

Photo by Brendan Church on Unsplash

 

23 Responses

  1. Hallo ich würde sehr gerne dieses Buch gewinnen leider haben wir erst durch die Krebserkrankung meines 19jährigen bemerkt was ihn so speziell und besonders macht.Erschwerend dazu ist vor ein paar Tagen sein Vater,grösste Stütze im vergangenen Jahr,mit nur 51 verstorben.Nun gehen wir zur nächsten OP und es wäre echt klasse

  2. Es ist so traurig, dass man überhaupt als „anders“ betitelt wird. Wer bestimmt denn was „normal“ ist…?
    Ich bin mit meinem Sohn nun fast 10 Jahre auf Odyssee um für die Gesellschaft eine Diagnose zu bekommen. Aber es ist ein nervenaufreibender Weg. Denn scheinabar denken auch viele Ärzte, dass es einen Standardautisten gibt u wenn man gewisse Kriterien nicht erfüllt ist es ausgeschlossen.
    Ich würde mich auch über das Buch freuen um meinen Horizont zu erweitern und um weiter stark und informiert an der Seite meines Sohnes zu stehen.

    • Hejo Sarah, hab dank für das Teilen deiner Erfahrungen! Ja leider reagieren viele mit Angst, wenn sie auf jemanden stoßen, der nicht nach ihrem bekannten Muster sich verhält. Ich hoffe du kannst Gleichgesinnte finden, die ein größeres Verständnis haben und dich vielleicht durch das Erzählen ihrer Erfahrungen bestärken können. In dem Buch gibt es eine Liste vom „Ärztemarathon“, die die Kleinen durchlaufen mussten, ehe sie „offiziell diagnostiziert“ werden durften (soweit ich das verstanden habe auch nur eines ihrer beiden Kinder).

      • Großartig!! Ich freue mich sehr!! Danke.
        Ein bisschen Rückenwind kann man wirkl. gut gebrauchen und es tut immer gut mit Gleichgesinnten sich auszutauschen und von anderen Erfahrungen zu profitieren und daran zu wachsen.
        Ich bin gespannt auf das Buch und werde berichten, wenn ich es gelesen habe.

  3. Liebe Gabi,

    Deine Worte sind ein Genuss zu lesen. Das Buch habe ich schon lange auf meiner wish-list, aber ist im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten…

    Alles was Du beschreibst ist so aktuell bei mir! Ich habe auch einen autistischen Sohn und er ist das wertvollste Geschöpf, was ich mir vorstellen kann. Ende letzten Jahres haben sich bei mir einige Puzzleteile aus meinem Leben zusammengefügt und mir wurde klar, dass ich auch Autist bin! Es war das schönste Geschenk, was ich mir machen konnte, denn ich bin voller Liebe zu mir und ich fühle mich mehr verbunden zu meinem Sohn als je zuvor.

    • Mensch Florian, das freut mich sehr, dass du darin auch Frieden finden kannst: endlich ein paar Antworten auf deine Fragen gefunden zu haben, oder? Ich finde es sehr beglückend zu sehen, wie liebevoll du mit dir und deinem Sohn umgehst! <3

  4. Ich würde mich sehr freuen das Buch zu gewinnen! Mit meinem Sohn habe ich auch schon ein paar Jahre Diagnostik Kampf etc hinter mir. Als ich den Artikel gelesen habe konnte ich unsere Geschichte sofort damit identifizieren!

  5. Ich würde das Buch auch gerne gewinnen :)
    Ich bin sehr dankbar für jeden Menschen mit Autismus den ich kennenlernen darf, da ich durch die Beschäftigung mit der anderen Art zu Denken soviel über mich selber und meine festgefahrenen Gedankenmuster lernen durfte.

  6. Hm, danke für den Artikel! Diese gewisse Klarheit in der Kommunikation, die die Betroffenen entwickelt haben, finde ich sehr ansprechend, da guck ich mir was von ab:-). Ansonsten finde ich eines interessant … Mit einer „Diagnose“ scheint etwas wie eine Lizenz zum Besonders-Sein daher zu kommen; mit dieser Erkenntnis, dem Einordnen-Koennen dieses besonderen Verhaltens. Und ich denke, dass diese „Lizenz“ zum Besonders-Sein für jeden Menschen ihre Berechtigung hätte und heilsam wäre; wie du ja auch schriebst, dass, was die Autisten ausdrücken, etwas gemeinsam-menschliches beschreibt. Ich meine, in jedem steckt Besonderheit; sie ohne Diagnose und Rezept zu leben, bedeutet vielleicht Mut.

    • hejo Rasmus! Ich denke, dass eine Diagnose hilfreich ist, wenn der Mensch gravierende Probleme im sozialen Miteinander hat… und dann (hoffentlich) eine bessere Hilfestellung bekommen kann. Ansonsten kann ich mir vorstellen, dass es spannend ist, über sich und wie sein Gehirn funktioniert mehr zu erfahren und zu erkennen :)

  7. Liebe Gabi,
    es gefällt mir sehr gut, dass endlich mal die Besonderheiten positiv bewertet werden. Es ist alles so toll geschrieben, dass ich gleich auf deine Seiten weiter lesen werde. Auch
    ich würde dieses Buch gerne gewinnen. Ich glaube, dass es mir sehr hilfreich wäre. Ich bin eine Integrationshelferin und begleite besondere Kinder an Regelschulen.
    Vielen Dank für deinen Beitrag zur Aufklärung.
    Liebe Grüße Melanie

  8. Liebe Gabi,
    ich danke dir für die gut zusammengestellten Asberger-Informationen. Sie machen mich auf die vorgestellten Bücher neugierig.
    Ich habe positive Erfahrungen mit einem autistischen Schüler und seinen sehr offenen Mitschülern machen können. Es braucht einwenig Zeit und Geduld, aber wir haben uns gut aufeinander einstellen und helfen können. Die besonderen Eigenschaften des autistischen Schülers erwiesen sich so manches Mal als Vorteil oder Stärke. Seine spezifischen Leistungen änderte unsere Sichtweisen. „Verkannte Juwelen“ – das beschreibt m.E. etwas ganz Wesentliches. Unsere „Juwelensuche“ war für uns alle einfach öffnend und bereichernd.
    Inge

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