Helmpflicht nein Danke! – Radhelme vielleicht sogar keine gute Idee?!
Immer wieder kursieren Kampagnen (1) im Netz, die auf die Notwendigkeit von Fahrradhelmen im Straßenverkehr hinweisen wollen. Radhelme sind äußerst unpraktisch, weil man daran denken muss, sie auch zu tragen; sie (zumindest mir) den Hals abschnüren (trotz richtiger Einstellung vom Radverkäufer-Profi) und natürlich weil sie einem die Frisur komplett verhauen. Aber Radhelme sind auch äußerst praktisch, wenn du bei einem ungeplanten Unfall (wer plant die schon) auf dem Kopf landest: Tut zwar immernoch weh, ist aber nen bissel weniger tödlich.
Jeder hat in der Schule gelernt: ein Ei/eine Melone in einem Helm geht nicht kaputt, ohne Helm ist nur noch Matsch nach dem Sturz übrig (auch wenn Köpfe nicht ganz so leicht zerstörbar wie Melonen sein sollten, wird das Prinzip klar):
Soweit so gut. Aber sollten dann nicht auch alle Fußgänger einen Helm tragen? Nach einer Studie von 1978 (4) erleiden sogar mehr Fußgänger als Radfahrer Kopfverletzungen im Straßenverkehr. Und noch größer war die Zahl bei Autounfällen … warum trägt man dann nicht IM Auto einen Helm? Weil das subjektive Sicherheitsgefühl im Auto größer ist?
Fahrradhelm tragen gefährlich?!
Ich erinnere mich aber an Gegenkampagnen von vor ein paar Jahren, die wissenschaftlich erklären wollen, dass Radhelm-Tragen im Gegenteil sogar eine Gefahr für den Fahrradfahrer darstellt:
- du würdest selbst als Radfahrer dich mehr in Sicherheit wiegen, und waghalsiger fahren
- die Autofahrer würden weniger vorsichtig an dir vorbeifahren, d.h. weniger Abstand zu dir halten, wenn du einen Helm trägst
Siehe auch: „Helmet gets you run over“ – Study (2006, von Dr. Ian Walker)
allerdings: Arschloch-Autofahrer interessieren sich nicht für deinen Helm. Sie haben einfach das dickste Auto und das größte Ego. Sie brauchen ganz viel Liebe, um irgendwann auch einmal ein Herz für ihre Mitmenschen zu haben (ergo rücksichtsvoll, vorausschauend und entspannt bzw. defensiv Auto zu fahren).
Übrigens: Der Seitenabstand eines Autos, dass einen Radfahrer überholt solte mindestens 1,5 Meter (!) betragen. Einen Radfahrer zu bedrängen ist eine Straftat. >> siehe auch StVO § 5
Radhelme lösen das Problem nicht
Die Debatte um Helmpflicht (oder der individuellen Entscheidung einen Helm zu tragen) löst aber das Grundproblem nicht: dass Radfahrer hierzulande gerne übersehen werden: nicht als vollwertige Verkehrsteilnehmer wahrgenommen! Die Diskussion um das Helme tragen lenkt daher vom eigentlich Problem ab, dass Radfahrern keine gute Infrastruktur gewährleistet wird.
Und das ist auch ein wesentlicher Punkt in einer neueren Arbeit des Herrn Walkers:
„[…] our reservations […] concern the moral issues that arise with bicycle helmets being promoted – and especially mandated – as a solution to dangers that would not be present if it weren’t for motoring. Even if bicycle helmets offered 100% protection from the impacts of motor vehicles, this is, critically, a risk imposed upon bicyclists without their consent.
[…] suggesting that bicyclists must buy and wear protective devices to remain safe is no different from suggesting non-smokers must buy and wear gas-masks as a solution to passive smoking. In both cases, these are solutions that technically ‘work’, but they place all the responsibility for action – and a financial burden – on the non-consenting injured party.
In the case of bicycle helmets, it is, moreover, a ‘solution’ that serves to maintain a status quo in which people choosing a healthy, clean and socially responsible mode of travel are systematically marginalised […] in their competition for limited public space with those who have chosen to use motor vehicles.“
Ian Walker zitiert aus: Bicycle helmet wearing is associated with closer overtaking by drivers (2013)
zu deutsch: Radfahrer sollten nicht darunter leiden, dass sie den gesünderen, nachhaltigeren Fortbewegungsstil wählen; ihnen sollte eine bessere Infrastruktur, besser ausgebaute und vor allem überhaupt erst einmal Radwege zur Verfügung gestellt werden.
Helme verhindern keine Unfälle! – Forderung nach radfahrgerechten Bedingungen
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hat eine Vielzahl von Vorschlägen und Forderungen, die umzusetzen viel wesentlicher wären, um die Unfallstatistik positiv zu verändern:
- Verpflichtende Nutzung von Abbiege-Assistenten für LKWs, gerade LKW-Fahrer übersehen durch den vergrößerten Toten Winkel häufig Radfahrer neben/vor ihnen
- Verkehrsberuhigung: mehr Geschwindigkeitsbegrenzungen (Tempo 30), damit innerorts die Autos langsamer fahren
- Fahrradampeln, die vor denen der Autos auf grün schalten
- Radverkehrssachverständige sollen auf Ämtern in die Verkehrsplanung mit einbezogen werden
- Ausbau von Radfahrstreifen, als Radwegen auf der Fahrbahn
Ein paar Statistiken
… über Radfahrer und Unfälle und Helme im folgenden Video:
Alles Masche von Versicherungsfirmen?
Es heißt, dass diese Filmchen dazu dienen sollen, zu belegen, dass unbehelmte Radfahrer eine „Mitschuld“ an ihrer Kopfverletzung (3) tragen. Gerichtsurteile sollen entsprechend so zugunsten der Autofahrer abgemildert werden. Versicherungsfirmen wollen so Kosten sparen.
Fazit – Wie du Kopfverletzungen beim Radfahren vermeiden kannst:
Wenn du in einen Unfall gerätst, ist es besser einen Helm zu tragen. Noch besser ist es, gar nicht erst in einen Unfall verwickelt zu werden. Also fahre auf radfahrer-freundlichen Wegen und auf eine Art und Weise, dass du die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles reduzieren kannst.
Wichtig: Fahre in potenziell gefährlichen Situationen lieber mehr in der Straßenmitte, also gut sichtbar, als zu nah am Straßenrand. (2)
weiterführende Hinweise:
(1) derzeitige Kampagne vom Bundesverkehrsministerium unter dem Hashtag #HelmerettenLeben
(2) auch wenn einige Autofahrer gereizt reagieren, so ist es dein gutes Recht und erhöht deine Sicherheit, weil du weniger wahrscheinlich übersehen wirst.
(3) Radfahrer selbst Schuld bei Kopfverletzung? >> bisher sehen das die Gerichte glücklicherweise selten so. „Am 17. Juni 2014 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass einem Radfahrer ohne Helm nicht automatisch eine Mitschuld an den Folgen eines Unfalls angelastet werden kann. Damit hebt der BGH das umstrittene Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom Juni 2013 auf. Der ADFC hatte die Klägerin auf ihrem Rechtsweg unterstützt – und begrüßt die Entscheidung der Karlsruher Richter als Wiederherstellung der Rechtssicherheit.“ (zitiert nach adfc.de)
(4) gefunden auf „WHY IT MAKES SENSE TO BIKE WITHOUT A HELMET“ – ähnliches Ergebnis außerdem in einer französischen Studie von 2006
8 Responses
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Danke für die Übersichtliche Darstellung der Kernargumente beider Seiten, und auch die Unterfütterung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Eine gesetzliche Pflicht halte ich für nicht zielführend, aber das Angebot eines Helmes sollte für jeden da sein.
Ich bin zwar mein Leben lang ohne Helm gefahren, hab mir aber gerade gehörig den Schädel geknaxt – ich fahre keinen Meter mehr ohne Helm, werde dafür aber erstaunlich oft verhöhnt. Meine Station im Krankenhaus war voll von Radfahrern mit Schädelfrakturen. Ich kann nur sagen: das macht nicht viel Spaß. Helm tragen ist dagegen schlimmstenfalls überflüssig, umständlich und frisurfeindlich. So what?
Oh man, ich hoffe, es geht dir (wieder) gut? Ja, ich schrieb ja WENN man auf den Kopf fällt, ist es WIRKLICH gut, einen Helm auf zu haben. Das gilt aber auch für einen Fußgänger und mehr noch für einen Autofahrer. Konsequenterweise müsste man da auch einen Helm tragen. Ich kriege diesen Widerspruch nicht aus dem Kopf. Meiner Meinung nach, macht es für mein eigenes Sicherheitsempfinden sehr viel Sinn, wenn man einen Helm trägt, sobald man schnell und im Straßenverkehr Fahrrad fährt.
Und noch mehr macht es Sinn, zu lernen, wie man sich richtig beim Fahrrad-Fahren bewegt, vorausschauend fährt, verantwortungsbewusst ist, gut bremsen und ausweichen kann etc.
Oh ha, ich fahre sowohl Auto als auch Fahrrad, aber „Arschloch“-Fahrradfahrer hab ich noch nie gesagt, obwohl mir oft danach ist, wenn zwei Biker fett auf der Straße nebeneinander dümpeln;) Ich bin weniger für Helmpflicht als für einen Fahradfahrer-Führerschein, denn so manches mal sind es die unwissenden Biker, die Autofahrer in die Bredouille bringen.
erzähl mir mehr vom Autofahrer-Dasein? Warum ist ein Autofahrer in der Bredouille wenn ein Radfahrer ihn mal zum langsam fahren zwingt? Ich frage mich immer, warum Autos auf Krampf versuchen zu überholen, anstelle ne Runde abzuwarten, bis es sicherer ist. Ich fühle mich immer sehr unwohl dann…
Es ist zum Bsp. nicht sehr förderlich für das Miteinander im Straßenverkehr wenn Radfahrer trotz gut ausgebauten Radwegen Ihre Trainingseinheiten auf Bundesstraßen absolvieren. Ebensowenig ist es okay sich als Autofahrer provoziert zu fühlen und im Zweifelsfall mit dem Menschenleben anderer Verkehrsteilnehmer zu spielen.
Jede Zunft hat Ihre schlechten Beispiele.- Daher finde ich es schade das du pauschalisierst und Autofahrer hier als die bösen großen Monster darstellst.
Als Fußgänger, Fahrradfahrer, Motorradfahrer und Autofahrer erlebe ich auf allen Seiten sehr oft totale Rücksichtslosigkeit. Wir haben bereits eine Regelung des Straßenverkehrs die diese Probleme im Grunde berücksichtigt.- Leider ist der Ungehorsam in vielen Fällen tödlich.
Gleiches gilt für Selbstüberschätzung. Ich wünsche mir das wir unsere Begegnungen versuchen mit mehr Rücksicht zu gestalten. Egal wie wir uns fortbewegen.
Liebe Grüße
@Konrad: Im Allgemeinen finde ich, dass (nicht zufällig) zuallererst §1 STVO gilt. Zur Erinnerung: das war der mit der gegenseitigen Rücksichtnahme. Soweit die Theorie. Praktisch haben Autofahrer massive Vorteile gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern. So sind sie deutlich besser geschützt als alle anderen (da ändert der Helm auch nichts dran) und sie bringen (gerade mit den nun modern gewordenen SUVs) eine immense Energie mit: E=m/2 v². Das führt meiner Meinung nach dazu, dass Autofahrer eine ganz besondere Verantwortung haben.
Ich störe mich auch besonders an deiner Formulierung zu den Trainingseinheiten.
Das klingt einerseits so, als seien Radfahrer nur zum Spaß unterwegs und hätten dadurch ein geringeres Recht auf Teilhabe am Straßenverkehr und zügigem Vorankommen. Außerdem ist (aus Autofahrersicht verständlicherweise nicht ersichtlich) die Radverkehrsinfrastruktur oft dermaßen unter aller Sau, dass eine Benutzung eine Strafe darstellt. Warum soll ich als Radfahrer eine huckelige Piste benutzen, alle paar Meter um Masten, Schilder, Einfahrten etc herumfahren, im Winter über ungeräumte Weg, wenn es nebenan eine glatte Straße mit komfortablen Vorfahrsregeln gibt?
Ich sitze selten im Auto, und dann erwische ich mich auch manchmal beim zügig fahren. Aber die oben erwähnte Verantwortung wird mir dann doch immer ziemlich schnell wieder bewusst.
Um Gabis Frage also nochmal anders zu formulieren: Warum verhalten sich eigentlich so viele Autofahrer als gäbe es ein Recht auf Überholen? Egal wie eng die Situation, an einem Radfahrer komme ich immer noch vorbei?
Und zum Schluss noch zur Frage der Pauschalisierung: Ich fühle mich von den meisten Autofahrern nicht bedroht, sondern als gleichwertiger Verkehrsteilnehmer akzeptiert. Es sind stets nur einzelne, die zu eng überholen, zu schnell an Radfahrern vorbei brettern oder beim Abbiegen nicht an Radfahrer denken. Leider gibt es (ob mit Helm oder ohne) relativ schnell Verletzte…
Ich fahre schon sehr lange Auto und auch schon sehr lange Fahrrad. Fahre ich, denke ich mich jeweils vorausschauend in den anderen hinein. Trotzdem kann es zu Konflikten kommen, ohne dass einer der Beteiligten das gewollt hat. Und in diesem Fall hat immer der die A…-Karte gezogen, der nur auf zwei Rädern unterwegs. Darum trage ich im Stadtverkehr oder auch auf viel frequentierten Rad/Fußwegen einen Helm (auch kleine Kinder fahre/springen plötzlich zur Seite). Ansonsten genieße ich das Fahren ohne Helm, wochentags, wenn kaum jemand unterwegs ist, auf Fahrrad-, Feld- oder Waldwegen …