Umwelt

Wahrzeichen der Stadt – Schwarzpappel am Nexöplatz wird gekappt.

Immer wenn ich auf die Europakreuzung zukomme, fällt mein Blick auf die stattliche Schwarzpappel am Nexöplatz. Sie thront dort seit zwei Jahrhunderten – hat die Zeit von Bismarck kommen und gehen gesehen, die beiden Weltkriege überdauert und ist seit dreißig Jahren eines von zehn Naturdenkmälern [1]Ich meine damit die Bäume, zwei weitere Naturdenkmäler sind Teich und Tümpel, siehe Wikipedias Liste der Naturdenkmäler HGW Greifswalds. Für einen kurzen Moment lasse ich mich in den Bann dieser Majestät ziehen.

Ein Moment der Ruhe im sonst hektischen Alltag. Ein Stück Frieden, wie es nur ein Baum ausstrahlen kann, der seit Ewigkeiten an derselben Stelle steht, stoisch allem Wetter trotzt und die Menschen kommen und gehen sieht.

Heute jedoch trifft mich der Schlag, als mein Blick auf den mächtigsten Baum der Stadt fällt: Kahlschlag sehe ich da, witzlose Stummel ragen in den Himmel, ein enthaupteter König. Auf acht Meter soll er heruntergeschnitten werden, erklärt mir einer der Männer vom Fällungsdienst. Weil er innen morsch sei und irgendwann umfallen würde – das würde niemanden was nützen.

„Aber ist schon schade drum“, fügt er noch hinzu. Ich nicke. Schade drum ist gar kein Ausdruck für den Schmerz, den ich empfinde. Die Leute gehen vorüber, den Lärm der Fällungsarbeiten ignorierend, Holzspäne werden vom Wind über die Straße gefegt… ein paar Menschen schauen interessiert. Aber keiner nimmt wirklich Anteil an dem Ende dieses Veterans mit seinem „ortsprägendem Charakter“.

Hat am Ende niemand von der nahenden Fällung bzw. Einkürzung [2]Einkürzung bedeutet in vielen Fällen nur ein Verzögertes Absterben, da der Baum nun anfälliger für die Wetterbedingungen ist; ob er neu austreibt ist zudem nicht gewiss gewusst? Wurden die Bürger nicht informiert und stehen mal wieder vor vollendeten Tatsachen, wenn der Tag vorüber ist? Es brauchte 200 Jahre zum Wachsen und nur ein paar Stunden Sägen, um über all die Jahrzehnte hinweg zu wischen.

Die Bäume gehören uns allen!

Meiner Meinung nach sollten große Bäume, aber auch stadtbildprägende Baumgruppen und Alleen als Kulturgut der Allgemeinheit verstanden werden. Ganz viele Menschen haben schließlich eine persönliche Erinnerung mit diesen Bäumen verknüpft. Wenn so ein Baum in Gefahr ist, dann möchte ich davon wissen. Und zwar nicht durch eine kleine unscheinbare Pressemitteilung (gab es die diesem Fall überhaupt? Oder hat selbst das zu viel Mühe gekostet?), sondern vielleicht auf einer eigens dafür eingerichteten Unterseite auf der Homepage der Stadt. Ich möchte herausfinden können, was dem Baum fehlt und vor allem: ob schon alles dafür getan wurde, den Baum zu retten. Denn Absägen geht schnell – Erhalten ist jedoch viel nachhaltiger und bedeutsamer. Naturdenkmäler sollten höchsten Stellenwert, ihr Erhalt sollte oberste Priorität haben! Als Zeichen der Wertschätzung der Natur, als Demut vor dem Alter der Bäume, als Statement zur Wahrung von Naturschönheiten im Interesse der Gemeinschaft und zum Wohle aller!

Denn gerade die alten Bäume tragen immens zum Klimaschutz bei, sie filtern Staub und spenden Schatten, schlucken den Verkehrslärm und bieten Lebensraum für Vögel und Insekten. Wir brauchen die Bäume zum Leben und Atmen!

Ein 220 Jahre alter Baum [3]Das Alter habe ich dem Baumregister von baumkunde.de entnommen | Archivlink wird gefällt – an der Schwarzpappel ist also schon Caspar David Friedrich vorbei spaziert! – und mag er auch alt und krank gewesen sein: gibt es keinen würdigen Abschied? Kein freundlichen Nachruf in der Zeitung? Kein Innehalten … nur Weitermachen im Trott und mit der Gleichgültigkeit der Natur gegenüber.

Nachtrag

Ein freundlicher Leser machte mich auf die Pressemitteilung [4]Auszug aus der Pressemitteilung vom 09.02.2023, dem Tag der Fällung: „Mehrere Kontrollen und ein aktuelles Gutachten haben ergeben, dass von der Pappel eine erhebliche Gefahr ausgeht. Demnach … Continue reading der Stadt aufmerksam. Sie wurde erst heute veröffentlicht – also genau an dem Tag der Fällung / Einkürzung. Auf diese Weise haben die Einwohner Greifswalds natürlich keine Möglichkeit, rechtzeitig von dem Vorhaben zu erfahren. Man könnte sich so angemessen von der Schwarzpappel verabschieden, ein letztes Mal noch sie in voller Pracht bewundern… oder sogar eine kleine Festlichkeit begehen, sie mit Lampions schmücken zu Ehren ihrer zwei Jahrhunderte in Greifswald.

Die Schwarzpappel im Winter

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Quellen und weitere Hinweise

Quellen und weitere Hinweise
1 Ich meine damit die Bäume, zwei weitere Naturdenkmäler sind Teich und Tümpel, siehe Wikipedias Liste der Naturdenkmäler HGW
2 Einkürzung bedeutet in vielen Fällen nur ein Verzögertes Absterben, da der Baum nun anfälliger für die Wetterbedingungen ist; ob er neu austreibt ist zudem nicht gewiss
3 Das Alter habe ich dem Baumregister von baumkunde.de entnommen | Archivlink
4 Auszug aus der Pressemitteilung vom 09.02.2023, dem Tag der Fällung: „Mehrere Kontrollen und ein aktuelles Gutachten haben ergeben, dass von der Pappel eine erhebliche Gefahr ausgeht. Demnach ist die Stand- und Bruchsicherheit des 25 Meter hohen Baumes in seiner jetzigen Form nicht mehr gegeben und er droht umzufallen.Link | Archivlink

1 Kommentar

  1. Ein sehr wertvoller Beitrag von dir, liebe Gabi! In Lübeck passiert das Gleiche: Alles unter Kontrolle mit den Bäumen. Ein Mann ist ein Mann, wenn er ‚Kriege‘ führen kann! Mit was beschäftigte sich Kaiser Wilhelm II im niederländischen Exil? Mit dem Fällen von Bäumen (aus Doku/Film von Schamoni ‚Majestät brauchen Sonne‘)! Das spricht für sich. Ich schaue zu, wie die Verzweiflung der Machthabenden, der Besitz- und Eigentumsverliebten, immer absurder um sich greift – denn diese Art der Lebensform hat ihren Zenit überschritten. So ist Transformation zu verstehen. Alles, Alles, Alles ist daran beteiligt, einschließlich ‚meiner selbst‘! Hoppla, wo bin ich denn …?

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