Wohin mit meiner Angst – Angst in Stärke umwandeln?
„Du musst einfach die Situation anders bewerten, dann klappt das schon.“ lese ich immer wieder in Ratgebern. Ganz nach dem Motto: „Denk dir deine Angst schön.“ Aber ich glaube nicht, dass das „positive Denken“ immer der richtige Weg ist!
Entscheidend ist, wie du darüber denkst
In einem meiner Lieblingsfilme „Happy go lucky“ rennt die quirlige Poppy aufgeregt durch die ganze Bude, um alle Materialien für einen Projekttag zusammenzusuchen. Und anstelle dass sie schimpft, dass sie im Stress sei oder sich in Panik verliert, was alles schief gehen könnte, ruft sie nur aus: „I am so excited!“ Der Schlachtruf ans Leben, bei jeder Herausforderung: „Ich bin ja so aufgeregt, das fühlt sich phantastisch an, weil ich lebendig bin!“
Sich über seine eigene Verantwortung für die Interpretation von Situationen und Gefühlen bewusst zu sein, ist ein wichtiger Schritt und kann tatsächlich einen großen Unterschied machen. Soweit so gut. Aber was, wenn das nicht hilft? Wenn das einfach nicht gelingen will, die Situation positiv zu bewerten?
Die Angst sich schön denken? Das kann nicht die Lösung sein!
Gefährlich finde ich es, wenn man wie im von mymonk vorgeschlagenen Artikel versucht, sich etwas vorzumachen und denken soll: „Ich bin begeistert!“ Das lässt sich allemal auf Situationen anwenden, in denen man tatsächlich gerade vor einer offensichtlichen Herausforderung steht. Also wenn du das erste Mal auf Skiern stehst und den Berg hinabrasen sollst. Na klar: Du bist hier oben, weil du das eigentlich wolltest, diese Spannung, dieses Neue, das kleine Abenteuer. Wenn du nun Angst spürst, dann kannst du dir sicherlich helfen, indem du dich auf deine ursprüngliche Begeisterung, auf deine positive Absicht konzentrierst. Oder einfach locker lässt in dem Wissen, dass der Körper gerade Adrenalin ausschüttet und diese Gefühle, diese „Angstreaktion“ nicht länger als 15 Minuten anhalten können (so ist der Körper gebaut).
Aber geht es um diese Art von Angst, wenn Betroffene versuchen, Hilfe bei ihren überwältigenden Gefühlen zu finden? Ich denke nicht.
Jahrelang habe ich auf die gleiche Art versucht, meine Ängste im Zaum zu halten. Immer, wenn mein Körper ein Angstsignal aussandte und sich alles in mir zusammenzog, immer wenn ich dachte: „Oh nein, ich hab Angst!“… hab ich mich versucht zu beruhigen und mir folgendes eingeredet: „Nein nein, du hast keine Angst. Du bist nur aufgeregt.“ Wenn du totale Angst vor einer Niederlage hast, Angst vor dem Verlassenwerden, Angst zu Sterben und zwar im nächsten Moment…, wenn deine Angst dich zu überwältigen droht… dann bitte ich dich, setze kein falsches Lächeln auf und versuche nicht dir einzureden, dass du gerade begeistert bist. Das würde bedeuten, dass du dich selbst belügst. Deine Seele schreit vor Kummer und Angst und du wiegelst ab wie ein desinteressierter Vater: „Das ist jetzt nicht wichtig, halt den Mund, ich glaub dir nicht!“ Dabei will deine Seele doch vor allem eines: Gehört werden.
Die Angst vollkommen zulassen.
Zugegeben, der Vorschlag mag sich für dich bedrohlich anhören. Du denkst, wenn du noch ein winziges Stückchen mehr von dieser Angst ertragen musst, wirst du vollends zusammenbrechen. Und nun sag ich dir, du sollst deine Angst voll und ganz zulassen, ja spinnt die denn?!
So verrückt es für dich klingen mag, aber genau darin liegt das Geheimnis. Gefühle wollen gelebt werden. Wenn du sie immer nur bis zu einem bestimmten Punkt zulässt, werden sie sich vielleicht erfolgreich zurückziehen: aber dann wieder an anderer Stelle hervorbrechen und dich erneut terrorisieren. Das, was die Angst so unsagbar unerträglich macht, ist dein eigener Kraftaufwand, mit dem du dich dagegen stemmst!
Wenn du das nächste Mal Panik spürst, halte inne. Versuch nicht dagegen anzukämpfen, halte dich nicht klein, sondern nimm alles ganz bewusst wahr. Dein innerer Dialog könnte zB so aussehen:
Ja, ich habe gerade Panik.
Wo in meinem Körper fühle ich diese Panik? Wie fühlt sich meine Angst an? Wie genau?
Ich versuche präsent zu bleiben und mir liebevolle Aufmerksamkeit zu geben.
Ich bin für mich da.
Hallo du da, Angst in mir. Was willst du mir sagen? Was ist los?
Aha, du hast Angst, dass dir alles zuviel wird? Ah, ich verstehe.
Und dann atmest du langsam ein und wieder aus. Nimm dir Zeit für dich. Lass zu, dass die Angst Gehör bekommt. Versuche dein Gefühl vollkommen zu erforschen, aufmerksam zu sein. Es ist okay, wie du dich gerade fühlst. Du darfst Angst haben. Lass sie zu, dann wird sie dir sagen, was sie von dir will. Vielleicht möchte sie dich ja vor etwas schützen?