Ich danke meiner Angst (Folge 2)
Warum ich meine Geschichte teile
Einige Menschen haben mir geschrieben, dass sie mich mutig finden. Dass sie bewundern, dass ich mich traue, meine Geschichte so öffentlich zu machen. Sie hätten seit Jahren Ängste, aber darüber zu sprechen, käme ihnen nie in den Sinn.
Daher möchte ich heute kurz auf meine Geschichte eingehen – und wie es kommt, dass ich bereit bin, mich offen und verletzlich zu zeigen.
So fing meine Angstkrankheit an
Ich war knapp ein Jahr aus dem Elternhaus, als ich meine erste Panikattacke hatte. Ich war grad auf Arbeit, spürte auf einmal einen ganz seltsamen unregelmäßigen Herzschlag, mir wurde schwummrig und ich wusste keine andere Hilfe, als mich auf den Boden zu legen. Dort lag ich und war mir sicher, dass ich gerade sterbe. Ich war jung, wollte die Welt entdecken und musste plötzlich mich mit meiner Todesangst auseinandersetzen. Keine schöne Beschäftigung!
Und leider blieb es auch nicht bei diesem einen Ereignis. Ich fing ein paar Wochen später an zu studieren und meine Panik „attackierte“ mich täglich. Ich will hier nicht beschreiben, wie man sich da fühlt. Es ist vor allem ein extrem körperliches Gefühl, dass einen signalisiert: gerade bist du in Lebensgefahr! Es folgten unzählige Arztbesuche, Gespräche bei Therapeuten (denn ja, ich wollte das Problem so „richtig“ anpacken, damit ich es wirklich schnell wieder los würde!) und wahnsinnig viele Tränen. Ich wurde immer weniger „lebensfähig“, das heißt, ich konnte meinen Alltag nicht mehr problemlos bewältigen.
Die anderen sehen dir deine Angst nicht an!
Wenn jemand einen Beinbruch hat, dann versteht die Umwelt es auf ganz optische Weise: Du kannst gerade nicht laufen, soll ich dir helfen? Man wird auch nicht dafür verurteilt, dass man die Treppe nicht so schnell hochkommt. Menschen mit psychischen Problemen haben keine sichtbare, leicht nachvollziehbare Wunden oder Probleme. Wenn du nicht richtig „funktionierst“ erntest du in unserer Gesellschaft erst einmal verwunderte Blicke. „Du musst doch grad gar keine Angst haben.“ Ach? Das weiß ich auch! Hab ich aber trotzdem! Und die lässt sich nicht mit einem Fingerschnippen wegdenken!
Nach einem Jahr glich ich einem Wrack. Ich war dünn, labil, unglücklich. Ich suchte Hilfe in einer psychotherapeutischen Klinik. Ich wechselte die Psychotherapeutin. Ich las dutzende Bücher. Ich arbeitete an mir selbst. Und ich lernte vor allem: Alles braucht Zeit. Angst ist kein schnelllebiges Problem. Angst sitzt tief.
Angst auszuhalten bedeutet Stärke
Seit meiner ersten Panikattacke sind knapp 14 Jahre vergangen. Die Angst hat mein Leben umgekrempelt und deutliche Spuren hinterlassen. Sie hat mich aber auch mir selbst näher gebracht. Ich habe den Mut gehabt, immer wieder genau hinzuschauen, was in mir los ist. Ich habe den Mut gehabt, mich meiner Angst zu stellen. Und gerade weil ich weiß, was das für eine Leistung ist, darum verstecke ich mich nicht! Ich bin so gesehen auch stolz auf mich! Ein kleiner ungnädiger Gnom in mir wünschte sich manchmal, dass mein Gegenüber mal eine Portion meiner Angstgefühle abbekommen würde: wie würde er reagieren? Ich zerbreche nicht an meiner Angst! Ich wachse an ihr.
Und ich lerne, mich immer weniger zu verstecken. Immer mehr zu mir zu stehen, wie ich eben gerade bin. Zu meinem Prozess zu stehen, für meine Bedürfnisse einzustehen. Ich habe mich Menschen geöffnet und diese Verletzlichkeit hat meinen Beziehungen eine wunderbare Tiefe verliehen. Ich bin nahbarer, meine Freunde wurden nahbarer. Das empfinde ich als unglaublich wertvoll. Wir Menschen sind nicht perfekt. Jeder hat die ein oder andere Schwäche, die einen sichtbar, die anderen innerlich. Angst ist nichts, für das du dich schämen musst. Sie macht dich menschlich.
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